Inklusive Wegeleitsysteme für Alle
ES IST EINE GEMEINSAME WEGEFÜHRUNG FÜR ALLE NUTZER ANZUSTREBEN
Orientierungs- und Leitsysteme sind entscheidend, um Personen mit sensorischen oder kognitiven Einschränkungen sowie allen anderen Nutzern eine sichere und eindeutige Orientierung vom Ausgangspunkt zum Zielort zu ermöglichen. Einheitliche und durchgängige Systeme sind wünschenswert, um die Erlernbarkeit und damit die Orientierung zu erleichtern.
- Planung
- Sichtbarkeit
- Informationsvermittlung
- Arten von Leitsystemen
- Außenraum
- Innenbereich
- Erstinformationen, Beschilderungen und Beschriftungen
Ausgangs- und Zielorte
Bereits in den frühen Phasen des Planungsprozesses sollten die Ausgangs- und Zielorte sowie die Notwendigkeit von Orientierungs- und Leitsystemen für blinde und sehbehinderte Menschen festgelegt werden. Dies stellt sicher, dass sowohl Besucher als auch Mitarbeiter ein konsistentes und durchgängiges Orientierungssystem vorfinden. Leit- und Orientierungssysteme in Arbeitsstätten sollten an die Bedürfnisse der Mitarbeiter angepasst und auf eine spätere Erweiterbarkeit sorgfältig abgestimmt werden.
Besonderes Augenmerk sollte auf den Übergang von außen nach innen gelegt werden. Unterbrechungen des Leitsystems, beispielsweise im Bereich des Windfangs, sind generell zu vermeiden.
Ein in der frühen Planungsphase entwickeltes Orientierungs- und Leitsystem ermöglicht eine gestalterisch anspruchsvolle und in die Gestaltungsidee integrierte Lösung. Solche Lösungen können oft den umfangreichen Einsatz von Bodenindikatoren zugunsten anderer Leitelemente reduzieren
Visuelle Wahrnehmung, Materialität und visuelle Kontrast
Visuelle Kontraste sind entscheidend für die Erkennbarkeit von Elementen im Innen- und Außenraum. Sie verbessern die Sichtbarkeit von Treppen, Ausstattungselementen, Stellplätzen und Leitsystemen für Menschen mit sensorischen Einschränkungen. Elemente mit Leitfunktion sollten sich durch visuellen Kontrast von ihrem Umfeld abheben. Ein helles Material eignet sich gut für Leitfunktionen, da es auch bei geringem Sehvermögen gut wahrnehmbar ist (vgl. DIN 32975:2009-12). Die Erkennbarkeit verbessert sich mit zunehmendem Kontrast, jedoch sollte der Kontrast so gewählt werden, dass wichtige von unwichtigen Informationen unterschieden werden können. Warnhinweise sollten auffälliger gekennzeichnet sein als Leitelemente, besonders in komplexen Verkehrssituationen. Bodenbeläge sollten einen visuellen Kontrast zu Ausstattungselementen und Einbauten aufweisen. Diese Kontraste müssen dauerhaft und beständig sein, und Verwitterungen sowie Verschmutzungen sollten vermieden und behoben werden (vgl. DIN 32984:2011-10)
Zwei-Sinne-Prizip
Die Grundlage der Informationsvermittlung für Menschen mit sensorischen Einschränkungen ist das Zwei-Sinne-Prinzip, bei dem Informationen über mindestens zwei Sinne – taktil, visuell und/oder akustisch – übermittelt werden (vgl. DIN 18040-1:2010-10). Eine kontrastreiche und taktil erfassbare Gestaltung der Systeme trägt zur Erkennbarkeit für Menschen mit visuellen Einschränkungen bei. Wichtige Informationen und Warnungen müssen besonders auffällig und leicht auffindbar gestaltet sein.
Es können verschiedene Leitsysteme eingesetzt und kombiniert werden
Lineare Systeme: Geeignet für eine eindeutige, einfache Führung von einem Punkt zum anderen. Bei komplexeren Leitsystemen mit paralleler Wegeführung zu verschiedenen Zielen ist eine gute Vorabinformation und eine klar verständliche Systematik notwendig.
Punktuelle Leitsysteme: Diese führen durch visuell und taktil erfassbare Leitelemente von einem markanten Punkt zum nächsten. Sie sind sinnvoll, wo die Gebäude- oder Außenraumstrukturen überschaubar sind und nur eine punktuelle Auffindbarkeit erforderlich ist, wie z.B. die Markierung eines Eingangs in einem langen Flur.
Die Orientierung im Außenraum kann für alle Nutzer durch folgende Maßnahmen verbessert werden:
Klare und strukturierte Gestaltung
Ablesbare Raumstruktur
Verständliche Wegeführung
Rechtwinklige Ausbildung der Leitsysteme
Gute Sichtbeziehungen und Offenheit
Schaffung eindeutiger Orientierungspunkte
Leitsysteme im Außenbereich können aus Sonstigen Leitelementen und/oder Bodenindikatoren bestehen
Sie dienen als Leitlinien, die Menschen mit visuellen Einschränkungen Orientierung bieten und eine durchgängige Ertastbarkeit von Wegen gewährleisten. Beispiele für Sonstige Leitelemente sind durchgehende Häuserkanten, Mauern, Sitzmauern, Rasenkantensteine, Sockel, Borde, Geländer, Hecken, Pflasterstrukturen, Rasenflächen, Gehwege mit Ober- und Unterstreifen sowie Metallabdeckungen.
Leitlinien aus Sonstigen Leitelementen müssen ihre Funktion klar kommunizieren, da sie im Gegensatz zu Bodenindikatoren nicht selbsterklärend sind. In einem geschlossenen System sollten Leitlinien einheitlich und gleichartig verwendet werden. Die Durchgängigkeit der Leitlinien darf nicht durch Einbauten oder temporäre Nutzungen wie Möblierung oder Beschilderung beeinträchtigt werden. Es ist mindestens ein Abstand von 60 cm von jeglichen Einbauten und 120 cm an der Sitzseite von Sitzgelegenheiten freizuhalten (vgl. DIN 32984:2011-10).
Fußwegbegleitende bauliche Strukturen
Fußwegbegleitende bauliche Strukturen wie Hauswände, Mauern, Sitzmauern, Sockel, Zäune, Geländer und Handläufe eignen sich zur Längsorientierung für blinde und sehbehinderte Menschen. Unregelmäßige Strukturen, wie in den Weg hineinragende Treppenstufen, fehlende durchgehende Aufkantungen, unterbrochene Zaunelemente, Außengastronomie oder Aufsteller/Auslagen, sind als Leitlinien ungeeignet, da sie Verletzungsgefahr bergen und/oder das Verfangen der Langstöcke verursachen können.
Entlang einer einseitig räumlich begrenzten Leitlinie ist mindestens ein 120 cm breiter Bewegungsraum freizuhalten. Zudem sind die erforderlichen Wegebreiten zu beachten.
Zonierung
Eine klare Gliederung von Flächen in Bewegungs- und Aufenthaltsbereiche verbessert die Orientierung und Sicherheit, insbesondere für Menschen mit visuellen Einschränkungen. Bewegungsbereiche sollten frei von Einbauten und Hindernissen sein, während Möblierung und Ausstattungselemente ausschließlich in den Aufenthaltsbereichen platziert werden. Der Materialwechsel zwischen diesen Bereichen sollte als ertastbare und visuell kontrastierende Leitlinie erkennbar sein.
Beidseitig der Bewegungsbereiche ist eine Zone von 60 cm von Einbauten freizuhalten, bei Bänken und Fahrradabstellern sind Abstände von mindestens 120 cm erforderlich. In beengten Bestandssituationen können die Mindestabstände möglicherweise nicht überall eingehalten werden.
Optimierte Beleuchtung und Sichtbarkeit
Eine gleichmäßige Grundbeleuchtung soll zu jeder Tageszeit und Witterung eine sichere Erkennbarkeit gewährleisten und ist die Grundlage für funktionierende Leuchtdichtekontraste. Materialwahl sowie Beleuchtungsart und -intensität sind so aufeinander abzustimmen, dass Blendungen und Spiegelungen vermieden werden. Die Lichtfarbe sollte zu optisch kontrastierenden Elementen mit Warn- oder Leitfunktion passen.
Leuchten dürfen keine Hindernisse darstellen und sollten gemäß den Regeln für Ausstattungselemente außerhalb von Erschließungs- und Sicherheitsräumen angebracht werden. Erschließungsflächen sollten gleichmäßig und in guter Qualität beleuchtet werden, um eine sichere Erkennbarkeit der Wege zu gewährleisten. Für Erschließungsflächen für Rollstuhlfahrer und Fußgänger ist die starre Anwendung der DIN 13201-1 nicht empfehlenswert, da sie überzogene Beleuchtungsstärken ergeben kann.
Maximale Helligkeit garantiert nicht optimale Sichtbarkeit. Die Beleuchtung sollte an die individuelle Situation angepasst und durch Probebeleuchtung vor Ort getestet werden, um den Einfluss von Materialfarbe sowie Gehölzen und Ausstattungselementen zu berücksichtigen. Eine geradlinige und regelmäßige Anordnung von Leuchtelementen entlang von Wegen unterstützt die Orientierung.
Wichtige Bereiche und gefährliche oder komplexe Verkehrssituationen wie Kreuzungen, Treppen und Rampen sind zusätzlich zu akzentuieren, um eine frühzeitige Erkennbarkeit zu gewährleisten. Schattenbildungen, die zu Fehlwahrnehmungen von Kontrasten führen können, sind zu minimieren. Besonders Schlagschatten an Stufen sollten vermieden werden.
Die Entwicklung von Orientierungs- und Leitsystemen ist ein komplexer Prozess, der an die jeweiligen Gegebenheiten angepasst werden muss
Im Gebäudeinneren können Sonstige Leitelemente wie Wände, Raumproportionen, Begrenzungen wie Fußleisten, Geländer oder taktil erfassbare Materialwechsel die Leitungsfunktion übernehmen. Akustische Bedingungen, Lichtführungen und markante, durchgängige Ausstattungs- und Möblierungselemente sind ebenfalls hilfreich, können aber nicht die alleinige Führung übernehmen. Die Orientierung und Leitung entstehen in der Regel aus dem Zusammenspiel räumlicher Gegebenheiten und mehrerer Sonstiger Leitelemente wie Wandgestaltung, Materialwechsel im Fußboden und markante Lichtführung. Dabei sind einfache Verständlichkeit und eindeutige Erkennbarkeit von großer Bedeutung. Bodenindikatoren werden im Innenraum sparsam dort eingesetzt, wo eine Gefahrensituation zu kennzeichnen ist. Um nachträgliche Anbringungen zu vermeiden, ist es wichtig, im Rahmen des Material- und Gestaltungskonzepts zu überprüfen, welche Möglichkeiten durch die konsequente Anwendung von Sonstigen Leitelementen bestehen. Die Zonierung von Erschließungsflächen in Gebäuden kann wie im Außenraum durch verschiedene, sich taktil und visuell unterscheidende Bodenmaterialien erfolgen. Dadurch können Bewegungsbereiche abgegrenzt werden, die neben den Flächen für Möblierung oder öffnende Türflügel hindernisfrei nutzbar sind (vgl. DIN 32984:2011-10)
Visuell kontrastreiche Gestaltung
Eine Voraussetzung für die Orientierung im Innenbereich ist die klare Erkennbarkeit der Raumgrenzen. Dies kann durch kontrastreiche Gestaltung von Fußböden und Wänden oder durch markante Gestaltung von Fußleisten und Türzargen erreicht werden (vgl. DIN 32975:2009-12).
In Arbeitstätten sind Leitsysteme zwischen Eingangsbereich und vertikaler Erschließung einzuplanen. vgl. DIN 32984:2011-10
Der Einsatz von Bodenindikatoren ist in Innenbereichen überwiegend zur Kennzeichnung von Gefahrenstellen notwendig
Für die Orientierung in einem Gebäude kann eine einfache bauliche Grundstruktur eine wesentliche Rolle spielen.
Die Orientierung kann vereinfacht werden durch:
Klare, überschaubare Raumstrukturen
Verständliche, möglichst gerade und rechtwinklige Wegeführungen
Gute Sichtbeziehungen und Offenheit
Eindeutige Raumhierarchien
Schaffung eindeutig erkennbarer Orientierungspunkte
Hallen / Foyers
Große Hallen und Foyers mit einer Breite von über 8 m benötigen in der Regel ein Bodenleitsystem (vgl. DIN 32984:2011-10).
Optimierte Beleuchtung im Innenbereich
Die Beleuchtung von Innenräumen sollte an deren Nutzung angepasst sein, wobei flexible und wirtschaftliche Systeme vorzuziehen sind. Die Ausleuchtung muss blend- und schattenfrei erfolgen und darf Farben sowie Kontraste nicht verfälschen (vgl. DIN 32975:2009-12). Je nach Sehaufgabe und Nutzerbedürfnissen, insbesondere bei visuellen und auditiven Einschränkungen, kann eine höhere Beleuchtungsstärke erforderlich sein (über 1.000 lx). Daher sollten verschiedene Einstellungen zur Anpassung der Beleuchtungsstärke möglich sein.
Punktbeleuchtung kann zur Raumgliederung und Prioritätenmarkierung beitragen. Die Ausleuchtung von Arbeitsstätten wird in der ASR A3.4, Beleuchtung, festgelegt.
Internetpräsenz
Um Menschen mit Einschränkungen vor dem Besuch öffentlicher Gebäude die notwendigen Informationen zu bieten, sollten Details zum Gebäude und zur Zuwegung, einschließlich der Anbindung an den ÖPNV und übergeordnete Leitsysteme, auf einer barrierefreien Internetpräsenz bereitgestellt werden.
Tastpläne und Modelle
Die Erstinformation bildet den Auftakt des Orientierungs- und Leitsystems und kann durch taktile und visuell kontrastierende Übersichtspläne (Tastpläne) bereitgestellt werden. Auch Tastmodelle sind hilfreich, insbesondere bei der Vermittlung von Baudenkmälern sowie Stadt-, Umgebungs- und Gebäudeplänen. Diese Pläne und Modelle müssen auffindbar und barrierefrei zugänglich sein und die Legende sowohl in Brailleschrift als auch in erhabener Profilschrift enthalten.
Beschilderungen und Beschriftungen
Visuelle Informationen wie Wegweiser, Übersichtstafeln und Türschilder sollten in Schriftgröße, Schriftart, Kontrast und Anbringungshöhen gemäß DIN 32975 gestaltet werden. Taktil erfassbare, schriftliche Informationen müssen parallel in erhabener Profilschrift und Brailleschrift bereitgestellt werden. Die Abmessungen und Ausgestaltung der erhabenen Profilschrift richten sich nach DIN 32986. Diese taktilen Informationen sind gemäß dieser Norm anzubringen (vgl. DIN 32986:2015-01, DIN 1450:2013-04, DIN 32975:2009-12).
Bei Beschilderungen und Beschriftungen muss die Durchgängigkeit der Information für den gesamten Weg sichergestellt sein. Einzelne, einmalige Informationen sind nicht ausreichend.